Herz, Kopf und Seele
In dieser Liga der Extra-Ordinären sind sie die Gentlemen: Schivv, Ro Kallis, Peer Formance, DJ Lifeforce und – manchmal – Albo. Zusammen: DCS, vormals Die Coolen Säue. Deutsche HipHop-Urgesteine aus Cool Cologne, heute erwachsene Männer, Familienväter, Anwälte und Werber. Mit »Silber« erscheint im Januar 2012 ihr erstes gemeinsames Lebenszeichen seit gut zwölf Jahren. Frischer Grown Man Rap ohne Zeigefinger und Staubschicht, dafür am Puls der Wirklichkeit. Zeitgemäß, ohne krampfhaft jugendlich sein zu wollen. Musik für »30 Somethings« und solche, die es werden wollen. HipHop mit Themen aus dem echten Leben, jenseits von juvenilem Geprahle, schlichter Sozialromantik und Plattenbau-Klischees. »Silber« beweist, dass man auch hierzulande mit HipHop erwachsen werden kann und darf. Dass man sich für seine subkulturelle Sozialisation nicht schämen muss, selbst wenn man mittlerweile einen »anständigen« Beruf ausübt. Oder Verantwortung für andere Menschen trägt.
Rückblende. Schivv, Peer und Ro Kallis sind Infizierte der zweiten Stunde. Anfang der Neunziger finden sich die drei, die zuvor bereits in verschiedenen Verbünden musikalisch aktiv waren, als Team zusammen. Erst erscheint eine Compilation mit u.a. den Fantastischen Vier und Fresh Familee (»Die deutsche Reimachse«), dann produziert man gemeinsam ein Debütalbum (»Kinderphantasien«), das jedoch wegen Problemen mit der damaligen Plattenfirma nie erscheinen kann. Erst 1996 wird »Stärker als das Schicksal« veröffentlicht, eine Sammlung von »Stückwerken und alten Sachen«, ein Jahr später dann schließlich das Konzeptalbum »Ungesund und teuer«, an dem auch DJ Lifeforce (vormals Indeed und Em:Zeh) und die Soulsängerin Brooke Russell mitarbeiten. DCS ernten Kritik von der Basis, aber gleichzeitig auch euphorischen Zuspruch von Kritikern und Fans für ihren mutigen Schulterschluss mit R&B, Soul und Pop-Melodien.
Als ich selbst 1996 das Video zu »Wie war das noch mal?« zum ersten Mal bei Viva sehe, fühle ich mich positiv an meine damaligen Helden aus Amerika erinnert: The Pharcyde, Gang Starr, Outkast oder De La Soul. Diese Kölner Jungs sind mit den Skills und der Knowledge der Alten Schule gesegnet, treten aber mit der Attitüde junger Wilder auf. Nur aus Majorlabel-Sicht wird das Album leider kein Erfolg und teilt somit das Schicksal vieler legendärer HipHop-Meisterwerke dieser Ära. Das nächste Album »1999… Von vorne!« erscheint folgerichtig nicht mehr bei der großen Plattenfirma, sondern beim Ruhrpott-Indie Deck8. Inhaltlich wie musikalisch zeigt es eine deutliche Abkehr vom vorherigen, doch recht komplexen Spagat zwischen Mass Appeal und Realness hin zu raueren Underground-Styles. Der Industriefrust ist DCS deutlich anzuhören, kompromisslos eliminieren sie alle Mainstream-Elemente aus ihrem kantigen Soundentwurf. Die Single »Ohne Ende« wird zur Szenehymne, im Deutschrap-Boomjahr 2000 gehen DCS mit Tefla & Jaleel, Curse, Pyranja und Lenny als »Swingerclub« auf Tour, Deck8 jedoch kurz darauf in die Insolvenz. Ro Kallis, Schivv und DJ Lifeforce veröffentlichen vereinzelte Soloprojekte, anschließend zerstreuen sich die Mitglieder der Band aus beruflichen und privaten Gründen quer durch Deutschland.
Schleichend tritt das echte Leben bei den vier HipHop-Verrückten in den Vordergrund: Ro Kallis wird Werber, zieht nach Hamburg, Amsterdam und schließlich nach Berlin. Peer und Schivv absolvieren ihre juristischen Staatsexamina, werden Rechtsanwälte in Vollzeit, arbeiten zeitweilig sogar in derselben renommierten Kölner Medienkanzlei und betreuen vornehmlich Künstler, Musiker, Plattenfirmen und Film-/TV-Produktionen. Lifeforce wird Abteilungsleiter bei einem Hersteller von DJ-Equipment, zieht aufs Land und dort drei Kinder groß. Man bleibt einander in Freundschaft und Geistesverwandtschaft verbunden, doch DCS liegt auf Eis. Wenn man sich mal sieht, ist man allerdings sehr schnell wieder beieinander. Vor allem, wenn es um Rapmusik geht. »Man wird diese HipHop-Sache ja auch nicht los, die Liebe zu Rap, dieses Gefühl mitmischen, was machen zu wollen«, sagt Schivv. Nur die nötige Zeit und Konsequenz fehlt fast zehn Jahre lang. Aus der vagen Schwärmerei, irgendwann doch noch ein Album zu machen, auf dass sich der Kreis endgültig schließe, wird im September 2010 schließlich Ernst.
Es ist das »10 Jahre Feuerwasser«-Konzert ihres alten Kumpels Curse, das eine neue Gruppenenergie entstehen lässt. Trotz neun Jahren ohne Auftritt und nur zwei Nachmittagen Probezeit ist auf der Bühne sofort wieder der alte Spirit zu spüren. Der Schalter ist umgelegt. Curse‘ Abschied aus dem Rap-Spiel wird zum Neuanfang für DCS. Ein Kurzurlaub in der Eifel bringt zwei neue Songskizzen hervor. Die anfängliche Unsicherheit, ob man im kompetitiven Rap-Spiel überhaupt noch mithalten kann, weicht schnell einer explosiven Mischung aus alter Routine und neuer Euphorie. Nach Feierabend werden zwischen Köln und Berlin weitere Beats gebaut, Texte geschrieben und jede Menge Mails verschickt. »Man musste ja auch einen konzeptionellen Ansatz finden«, so Schivv. »Wir sind im Leben angekommen, haben Berufe, Familie und sind trotzdem Rap-Köppe geblieben. Uns war wichtig, mit unseren Songs an keiner Stelle zu lügen, keine Scheinwelten zu konstruieren, nicht unsere Egos oder Rap selbst zu thematisieren, sondern unser echtes Leben – Dinge, die uns tatsächlich berühren und betreffen, unpeinlich und nach Stand der Kunst.«
Was DCS tatsächlich berührt und umtreibt, lernt man in Songs wie »Eins«, dem Solotrack des zweifachen Familienvaters Schivv, der sich unpathetisch und gleichzeitig sehr emotional an seine Frau und seinen erstgeborenen Sohn richtet. Oder in einem Stück wie »Nachtfrost«, das Ro Kallis für einen ungeschriebenen Brief an seine verstorbene Mutter nutzt. Oder in weniger schwermütigen, dafür umso unterhaltsameren Nummern wie »Sex im Alter«, wo es um hemmungslosen, bacchantischen Genuss in Form von gutem Essen und Trinken geht. Nicht zuletzt wäre »In die Welt« zu nennen – ein Song über Fern- und Heimweh, über den Drang in die Welt hinaus bei gleichzeitiger Erdung an einem bekannten Ort, der in diesem Fall nur Köln heißen kann. All diese Themen bearbeiten DCS natürlich mit der gebotenen Ernsthaftigkeit, aber auch einer Eloquenz, Lockerheit und Selbstsicherheit, die den erwachsenen Männern zumindest einen entscheidenden Vorteil gegenüber hungrigen, wettbewerbsorientierten Jungspittern verschafft.
Für die Arbeit am Album werden Terabytes über virtuelle Dropboxes verschoben, gemeinsame Studiowochenenden organisiert; mit Engineer, Mix- und Mastermind Roe Beardie schließt das Quartett sich immer wieder in den Kölner Brewery Studios von Erik »Kut-L« Breuer ein. Zwei Songs entstehen auch in einem verlassenen Berliner Ost-Außenbezirk beim ehemaligen Aggro Berlin-Engineer Dan. Je konkreter das Projekt wird, desto mehr fügen sich die Mosaiksteine einer tiefen Verwurzelung in der HipHop-Community zusammen. »Wir haben ohne jedes Budget mit den unglaublichsten Typen gearbeitet«, schwärmt Schivv. Nicht nur mit Roe Beardie und Videoregisseur/Fotograf Lennart Brede, sondern auch mit den Produzenten Crada und Adlib sowie den spektakulären Feature-Gästen Olli Banjo (der schon auf der »Deutschen Reimachse« als Jungspund mit von der Partie war) und Sido, mit dem DCS noch mal ein wenig in der Vergangenheit schwelgen: »Wie war das noch mal 2012« entsteht sogar auf Initiative des ehemaligen Maskenmannes aus dem Märkischen. Plötzlich ist »Silber« fertig. DCS waren zwölf Jahre raus und weg. Im Januar 2012 erscheint ihr neues Album. Der Kreis schließt sich endgültig.
Es versteht sich von selbst, dass »Silber« musikalisch und textlich das reifste Werk der Kölner Formation ist. Der Löwenanteil der Produktionen stammt von den Bandmitgliedern Peer und Lifeforce, doch DCS wären nicht sie selbst, hätten sie nicht auch Vertreter der aktuellen Produzentengeneration in ihr Comeback (ja, man darf es so nennen!) integriert: Mit Crada und Adlib sowie dem ewigen Roe Beardie konnten sie drei Beat-Freaks verpflichten, die mit ihrem traditionalistisch geerdeten Next-Level-Sound perfekt zu einer Band passen, die sich ideologisch niemals in doofes Ewiggestrigentum und Früher-war-alles-Besserwisserei verstrickt hat. DCS liefern keinen Gegenentwurf zum ohnehin im Rückzug begriffenen Straßen-Rap, sondern cruisen auf ihrer ganz eigenen Standspur gen Regenbogenende. Nicht im übermotorisierten, getuneten Sportwagen, sondern im eleganten Vintage-Jaguar. Stilvoll, entspannt, ohne Druck im Nacken. Sie sind zufrieden mit ihrem jetzigen Leben, die frühere Wut und Aggression ist einem souveränen Selbstbewusstsein gewichen. Diese Erdung in der Wirklichkeit verleiht »Silber« seinen ganz speziellen Geist. Andere spielen Golf, segeln durchs Mittelmeer oder bauen Wein an. DCS machen eine Rap-Platte.
Wie war das noch mal? »Remember back in the days/when we were young and amazed.« Wir sind vielleicht nicht mehr ganz young, aber immer noch sehr amazed. Zumindest, wenn eine Platte wie »Silber« unseren Weg kreuzt.
Stephan Szillus
Chefredakteur JUICE
November 2011